Turnertempel

turnertempel

„There is a new memorial in Vienna, Austria, where the synagogue in Turnergasse was burnt down in 1938. The video is about jewish life in this district of Vienna before and after the Shoah and it preserves the names of the victims of Nazi terror in Vienna, Rudolfsheim-Fünfhaus. The project was made with support of „Herklotzgasse 21“ who do a fantastic job by teaching the people of this area about the dark history of this city.“ (Hans Michael Bittner, November 2011)

Der Tempel in der Turnergasse 22 wurde als dritte Synagoge Wiens (nach dem Haupttempel in der Seitenstättengasse und dem Leopoldstädter Tempel) 1871/72 nach den Plänen Carl Königs errichtet und ersetzte das seit 1849 gemietete und provisorisch eingerichtete Bethaus in der Sperrgasse 9 (vorm. Feldgasse). Er war das erste öffentlich und sogleich monumental in Erscheinung tretende Zentrum der jüdischen Gemeinde und sollte auch forthin das bedeutendste bleiben.

Es geschah zur Realisierung des Tempelbaus, dass sich die Filialgemeinde „Sechshaus“ 1867 von der städtischen Muttergemeinde selbständig machte. „Die Überzeugung brach sich unter der überwiegenden Majorität der vorortlichen Judenschaft Bahn, dass die Gemeinde nach ihrer Loslösung ihren Zweck und ihre Existenzberechtigung verloren hätte, wenn nicht mit allen Kräften eines beschleunigten Eifers das große Bauwerk in Angriff genommen würde.“ (Leopold Stern, 1892). Und tatsächlich gelang dem Eifer des Gemeindevorstands die Fertigstellung des Baues 1872, nur wenige Jahre nachdem die Österreichischen JüdInnen 1867 die volle bürgerliche Gleichberechtigung und Religionsfreiheit erhalten hatten.

Bereits 1869 wurden in dem angrenzenden Wohnhaus, das zum Grundstück gehörte und als Gemeindehaus genutzt wurde, eine Religionsschule mit 4 Klassen, Wohnungen für die Gemeindebeamten, Kanzlei und Sitzungssaal eingerichtet. Forthin lebten im Gemeindehaus die Rabbiner und Kantoren sowie jüdische MieterInnen, und es waren darin zahlreiche Vereine von traditionell karitativ-religiöser Prägung untergebracht:

  • Beerdigungsverein Chewra Kadischa Fünfhaus (gegründet 1865)
  • Israelitischer Hilfsverein „Maskial el Dol“ (gegr. 1874)
  • Krankenunterstützungsverein „Chesed schel Emes“ (gegr. 1876)
  • Israelitischer Frauen-Wohltätigkeitsverein (gegr. 1914)
  • Brautausstattungsverein „Hachnuses Kallo“ (gegr. 1921)

In der Reichkristallnacht des November 1938 wurden von NS-Mannschaften Bücher und Sakralgeräte auf dem Vorgarten verbrannt und schließlich wurde der Tempel selbst – gleich allen anderen freistehenden Tempeln Wiens – in Brand gesetzt. Die herbeigerufene Feuerwehr sicherte den Parteibefehlen entsprechend nur die Nachbarhäuser.

Die seit 1906 in der Herklotzgasse 21 eingerichtete Ausspeisung wurde Anfang 1939 in die Turnergasse 22 übersiedelt (die nunmehr arischen MieterInnen der Herklotzgasse 21 hielten sich über den Geruch und die wartenden Menschen auf) und bestand dort mindestens bis Ende 1940 weiter, wahrscheinlich länger. Der Transportunternehmer Leopold Hölzl kaufte im Mai 1940 das Grundstück des Tempels auf dem Weg der „Arisierung“ sowie das zugehörige Gemeindehaus (der Verbleib der Ausspeisung wurde vertraglich eingeräumt). Er errichtete „unter Verwendung des Sockelrestes des abgetragenen jüdischen Tempels“ eine Autogarage – und an der Stelle des ehemaligen Betsaales einen Holzschuppen, später eine Tankstelle. Im Gemeindehaus richtete er Magazin- und Werkstättenräume ein. – Der Restitutionsprozess der Israelitischen Kultusgemeinde gegen Leopold Hölzl endete 1951 mit einem Vergleich.

Die genannte Nutzungs- und Baugeschichte wurde in der frühen und späteren Nachkriegszeit völlig bruchlos fortgesetzt – bis schließlich 1976 für die Errichtung eines Gemeindebaus der Stadt Wien das ehemalige Jüdische Gemeindehaus abgerissen wurde. Zugleich wurde auch die Garage über dem ehemaligen Tempel demoliert und das Grundstück als Grünfläche gewidmet – wobei nirgends in der Widmungs- und Planungsgeschichte der Tempel auch nur erwähnt wurde. Pietätsgründe können also, wenn überhaupt, nur im Verschwiegenen gegen die Verbauung der Fläche gewirkt haben (im Bauakt der Baupolizei war doch für jeden, der ihn öffnete, sogleich auch die jüdische Geschichte des Bauplatzes ersichtlich). An die Synagoge und ihre Zerstörung erinnerte viele Jahre lang nur eine Gedenktafel am Gemeindebau, hinter dessen Umzäunung angebracht und damit trotz ihrer Aufschrift „Niemals vergessen“ nur für die Suchenden zu bemerken.

Gedenkort Turnertempel

Auf Betreiben des Projekts „Herklotzgasse 21“ wurde am 10. November 2011 schließlich der Gedenkort Turnertempel eröffnet. Das Mahnmal soll die aus dem städtischen Bewusstsein getilgte Vergangenheit des Platzes und damit des Bezirks zukünftig wieder deutlich erlebbar in die Gegenwart zurückholen.