Das Projekt Herklotzgasse 21

DreiecksgrafikDas Haus in Wien XV, Herklotzgasse 21, von dem dieses Projekt seinen Ausgang nahm, war in den Jahren von 1906 bis 1940 ein Knotenpunkt innerhalb eines relativ dicht von JüdInnen bewohnten Wiener Stadtviertels. In Fünfhaus war die soziale Organisation mehrerer Gemeindebezirke (XII-XV) gebündelt; in der Turnergasse 22 gab es seit 1872 eine große Synagoge und in der Storchengasse ein mehrfach ausgebautes Bethaus. Zahlreiche Vereine waren in der Herklotzgasse 21 sowie in einigen anderen Häusern untergebracht.

Nach dem Anschluss wurden die Menschen jüdischer Herkunft sämtlicher Lebensgrundlagen beraubt. Sie wurden aus dem sozialen und dem Arbeitsleben ausgeschlossen. Ihre Organisationen, ihre gemeinschaftlichen und privaten Besitztümer wurden zerstört und enteignet. Mit der Vertreibung und Deportation wurde das von den Nationalsozialisten als „jüdisch“ klassifizierte Leben schließlich aus der öffentlichen Oberfläche der Stadt getilgt. Auch in der Nachkriegszeit wurde es weitgehend dem Vergessen überlassen. Nur wenige Plätze wurden von der neu gebildeten Wiener Jüdischen Gemeinde wieder beansprucht und mit neuem Leben erfüllt.

Dennoch haben sich in Wien die architektonisch-städtebaulichen Strukturen, in denen sich die blühende jüdische Gemeinschaft manifestiert hatte, seither wenig verändert. Dieser materielle Raum gibt uns die Chance, die Spuren wieder aufzunehmen und in Zusammenarbeit mit Überlebenden, die hier aufgewachsen sind, sowie mit HistorikerInnen und jüdischen Organisationen, mit FilmemacherInnen, FotographInnen und KünstlerInnen sichtbar zu machen.

Die Initiative zu dem Projekt geht von heutigen MieterInnen des Hauses Herklotzgasse 21 aus: Als VertreterInnen sozialer Organisationen sind für uns Gegenwart und Zukunft nicht ohne Auseinandersetzung mit der Vergangenheit möglich. Beschäftigt mit Diskursen und Zusammenhängen sozialer Ausgrenzung und Ungleichheiten, dürfen und wollen wir uns der Geschichte des Ortes, an dem wir täglich arbeiten, nicht verschließen. So ist die Grundidee für dieses Projekt entstanden, in dem nicht nur vergangenes Leid, Vertreibung und Sterben im Mittelpunkt stehen sollen, sondern auch das Leben in den Häusern und Straßen dieses Bezirks.

Fragestellungen

Das Forschungs- und Ausstellungsprojekt handelt von der jüdischen Gemeinschaft in dem Wiener Außen- und Arbeiterbezirk: von seinen BewohnerInnen und von den Vereinen, die alle Aspekte sozialen Lebens organisierten sowie regional, national und international vernetzten. Es handelt von einer zerstörten Synagoge und einem in Resten erhaltenen Bethaus.

Unsere Recherche befasst sich mit der Geschichte der weitläufigen Vorstadtgemeinde, deren Ursprünge ins frühe 19. Jahrhundert zurückreichen und die die heutigen Bezirke XII–XV umfasste. Sie verfolgt Entwicklung und Blüte der Gemeinde innerhalb der wachsenden Metropole bis zu ihrer Zerstörung. Und sie fragt nach den Biographien der Überlebenden.

Ziele

Ziel des Projektes ist es:

  • die Formen jüdischen Lebens in dem Haus und seiner Umgebung zu erforschen: durch Aktivierung der noch bestehenden lebendigen Erinnerung sowie durch archivarische Recherche;
  • diese Lebensformen in ihrem ursprünglichen soziokulturellen Kontexten zu verstehen;
  • und in der Gegenwart des Hauses und Viertels wieder sichtbar zu machen.

Die Ergebnisse sollen öffentlich präsentiert werden:

  • in einer temporären Ausstellung und in damit verbundenen Events an verschiedenen Stationen des Viertels, mit einem Zentrum in der Herklotzgasse 21
  • in permanenten Installationen mit Denkmal-Charakter an mehreren Orten des Viertels, insbesondere an der Stelle des ehemaligen Turnertempels durch Führungen im Bezirk
  • im Zuge einer wissenschaftlichen Tagung zur Geschichte des jüdischen Vereinswesens in Wien

Das Projekt wendet sich an die WienerInnen aus dem Bezirk und der übrigen Stadt, die hier bleiben konnten und durften. Es wendet sich an die Geflohenen, die in aller Welt noch immer über ihre Herkunft kommunizieren, sowie an deren Nachkommen. Die Erzählungen von zerstörter Heimat und Flucht aus Wien will aber auch Menschen ansprechen, die abermals aus verschiedenen Gründen ihre erste Heimat verlassen mussten – die hier ein neues Leben aufbauen und als ethnische bzw. religiöse Minderheiten wieder mit verschiedenen Formen von Fremdenfeindlichkeit konfrontiert sind.

partner

Wir bedanken uns bei unseren FörderInnen für die Unterstützung.